Unsere Familie stammt aus Holland, unsere Tochter Selina ist heute sieben Jahre alt. Selina leidet an einer venösen Malformation im Gesicht. Ihre rechte Gesichtshälfte ist bis zum Ohr betroffen, ebenso ein Stück vom Hals. Dass etwas nicht stimmte konnten wir unmittelbar nach der Geburt sehen, auch wenn wir zunächst immer wieder mit verschiedensten Erklärungen beruhigt worden sind, bevor wir herausfanden, was nicht stimmte.
Die Hebamme meinte, die deutlich zu erkennenden blauen Flecken in ihrem Gesicht kämen von der Geburt. Unser Hausarzt schickte uns eine Woche später zum Kinderarzt, der die Verfärbungen für ein normales Hämangiom hielt. Wir sollten uns keine Sorgen machen. Aber das ist leichter gesagt, als getan. Eines Tages entdeckten wir im Mund von Selina ebenfalls ungewöhnliche Flecken. Diesmal schickte uns unser Kinderarzt zu einem Spezialisten.
Zu diesem Zeitpunkt war unsere Tochter zehn Monate alt. Es wurde ein MRT Scan (Magnetresonanztomographie-Aufnahme) von Selina's Kopf erstellt. Die Diagnose: venöse Malformation. Der Arzt sah keinen akuten Handlungsbedarf, da es unserer Tochter gut ging und sie nicht an ihrer Krankheit zu leiden schien. Im Alter von fünf Jahren wurde wieder ein MRT Scan gemacht. Zum Glück hat Selina immer noch kaum Beschwerden, weshalb die Ärzte mit einem Eingriff warten wollen, um sie nicht unnötig und so früh den vermeidbaren Nebenwirkungen einer Operation auszusetzen. So gehen wir einmal jährlich zur Kontrolle in Nijmegen in Holland.
Als Mutter möchte ich sagen, wie stolz wir auf unsere Tochter sind! Als ich meine kleine Selina mit Ihrem blauen Fleck im Gesicht das erste Mal sah und dann von der venösen Malformation erfuhr, war es schwer für mich und meinen Mann zu akzeptieren, dass die Krankheit nicht mehr weggehen würde. Ich weinte viel, fühlte mich schuldig und dachte gleichzeitig immer wieder: warum wir, warum unsere Kleine? Wir rauchen nicht und trinken keinen Alkohol. In der Schwangerschaft habe ich bewusst gesund gelebt. Und doch ist etwas nicht in Ordnung. Jeden Abend bevor ich zu Bett gehe, gehe ich zu ihr ins Zimmer, setze mich bei ihr ans Bett und beobachte sie voller Sorge und Angst. Manchmal rollen Tränen über meine Wangen. Aber wenn ich daran denke, wie fröhlich, glücklich und lieb sie ist, wie viele Freunde sie hat und wie schnell sie Anschluss findet, dann werde ich glücklich und fühle mich wieder gut. Denn sie geht so gut mit ihrer Krankheit um.
Es gibt auch viele Menschen, die fragen oder denken, dass Selina hingefallen sei, sich gestoßen hätte oder irgendetwas anderes. Man kann Menschen denken sehen. Aber auch hiermit geht Selina gut um. Sie sagt dann, dass sie so geboren worden sei. Das stimmt ja auch. Und zumindest die Kinder geben sich damit zufrieden. Für Kinder scheint das Ganze weniger ein Problem zu sein als für die Erwachsenen!
Selina hat eine jüngere Schwester, sie kam völlig gesund zur Welt. Die beiden Mädchen spielen oft miteinander.
Zum Glück hatte Selina bis sie vier Jahre alt war wenig Beschwerden. In den letzten Jahren wird ihr Gesicht druckempfindlich und die Wange wird dick, wenn sie sich ärgert oder mit Freunden oder ihrer jüngeren Schwester sehr wild tobt. Aber wenn sie dann wieder ruhiger wird, dann schwillt auch ihre Wange wieder ab. Im Winter bei kälteren Temperaturen geht es ihr besser als im Sommer. Wenn es sehr warm ist, kribbelt ihre Wange und sie muss sie kühlen. Aber auch dann geht es ihr gut. Nur bei mir und meinem Mann bleiben die Ungewissheit und die Furcht vor dem, was vielleicht kommen kann.
Ansonsten entwickelt sich Selina wie ein ganz normales Kind, was sie ja im Grunde auch ist. Sie schwimmt sehr gern, ist Mitglied in einem Schwimmclub und schwimmt einmal in der Woche. Sie hat sehr viel Ausdauer im Wasser – aber auch sonst beim Basteln, Malen oder Werkeln.
Schade findet Selina, dass sie nur am linken Ohr einen Ohrring tragen darf. Da ja das rechte Ohr auch betroffen ist, durfte dort kein Ohrloch durch gestochen werden. Ihre kleinere Schwester hat zwei Ohrlöcher und manchmal wird unsere Große dann ganz traurig. Dann sag ich zu ihr: „Eins ist besser als keins und es gibt Schlimmeres.“ Aber in solchen Momenten kann ich mir vorstellen, wie schlecht sie sich fühlt. Und ich versuche ihr Mut zu machen.
Ich glaube im Laufe der Zeit hat sich Selina zwar an ihren Flecken gewöhnt, aber dennoch bleibt es schwierig. Obwohl sie weiß, dass ihr Fleck nicht mehr weggehen wird, fragt sie manchmal: „Mama, wenn ich groß bin, ist dann der Fleck weg?“ Dann muss ich schlucken und sage ihr ehrlich, dass es nicht so ist, aber dass sie trotzdem ein ganz besonders hübsches Kind sei. Und dann schauen wir zusammen in den Spiegel.
Eines Tages habe ich zu ihr vor dem Spiegel gesagt, dass jeder Mensch etwas nicht so Schönes und etwas Schönes am Körper hätte. Bei ihr sei der Fleck nicht so schön. Dann sahen wir mich an, und auch bei Mama gibt es natürlich das ein oder andere, was nicht so schön ist. Danach haben wir geschaut, was alles schön an ihr sei. Und das waren viele Dinge: ihre Augen, ihr Lachen, ihr gewelltes Haar ...
Und wenn wir auf der Straße oder im Fernsehen andere Menschen im Rollstuhl sitzen oder mit einer anderen Behinderung sehen, dann sprechen wir darüber. Und wenn sie erkennt, was sie alles kann, was andere vielleicht nicht können, wie Gehen, Malen, Klettern, Rennen und vieles mehr, dann sieht meine kleine Selina mich an und findet wirklich, dass es ihr ja eigentlich ganz gut geht. Dann tun ihr die anderen Menschen leid und sie wird traurig.
Kürzlich fragte ihre kleine Schwester: „Warum habe ich nicht so einen Fleck wie Selina???“ Tja, warum? „Ich weiß es nicht,“ habe ich geantwortet.
Wir machen uns immer Sorgen um Selina. Wir fragen uns, ob es ihr auch wirklich gut geht oder nicht. Wir haben Angst, weil wir nicht wissen, wie lange ihr Zustand so bleibt. Und irgendwo bangen wir um den Tag, an dem sich das vielleicht alles ändert. Ich probiere die Zeit zu mit ihr zu genießen. Jetzt. So lang es ihr einigermaßen gut geht.
Wir müssen stark sein. Unsere Kinder sind es auch.
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